Was tun wenn Viele nichts sagen? Großgruppen Mediation und ihre Tücken mit der Symmetrie der Redezeit
- Hannah Varga

- 15. Okt. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Dez. 2024
Kennen Sie das auch? Sie kommen neugierig zu einem Treffen im örtlichen Nachbarschaftszentrum, weil die Stadtverwaltung Sie eingeladen hat, sich an der Umgestaltung des Platzes vor Ihrer Haustür zu beteiligen. Da es Sie persönlich betrifft, wollen Sie zuhören und erfahren, welche Veränderungen geplant sind.
Ein Architekturbüro stellt die Entwürfe vor, und im Prinzip finden Sie die Pläne ansprechend - aber einige Dinge bleiben Ihnen unklar. Vor allem der Fußballkäfig direkt vor Ihrem Haus bereitet Ihnen Sorgen. Es könnte sehr laut werden, und Sie würden gerne nachfragen. Aber irgendwie fühlen Sie sich unsicher: Zwei Personen am anderen Ende des Raumes sprechen laut und unterbrechen immer wieder die Gruppendiskussion. Die Verwaltungsvertretung ist voll in das Gespräch mit diesen beiden Personen eingebunden, und das Gesprächstempo ist hoch. Sie haben kaum Gelegenheit, in Ruhe über das Gehörte nachzudenken, geschweige denn, Ihre Fragen zu formulieren.
Frustriert und unverstanden verlassen Sie das Treffen und gehen nach Hause.
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Solche Situationen habe ich auch schon selbst erlebt. Als Anwohnerin, aber auch als Mediatorin und Moderatorin in der Stadtplanung. In großen Gruppen kann Mediation zu einer echten Herausforderung werden: Die einen reden endlos, die anderen schweigen. Häufig zeigt sich dabei, dass die stillen Teilnehmer:innen wertvolle Einsichten haben, die jedoch ungehört bleiben. Doch wie kann in einer großen Gruppe eine Balance gefunden werden, so dass alle zu Wort kommen und sich respektiert fühlen? Wie können Mediator:innen hier wichtige Impulse setzen, damit mehr demokratische Teilhabe möglich ist?
Über diese Fragen habe ich viel nachgedacht und möchte vier gezielte Interventionen als Inspiration anbieten, die Mediator:innen dabei unterstützen können, in Großgruppen oder auch Team Mediationen eine Balance der Redezeit herzustellen und auch den leisen Stimmen Gehör zu verschaffen:
1. Formulierung von Interventionssätzen
In Situationen, in denen einige wenige Personen den Großteil der Redezeit für sich beanspruchen, kann es schwierig sein, spontan die richtigen Worte zu finden, um das Gespräch respektvoll, aber bestimmt wieder für die gesamte Gruppe zu öffnen. Deshalb ist es hilfreich, sich im Vorfeld bestimmte Formulierungen für solche Momente zu überlegen und eventuell gemeinsam mit Kolleg:innen passende Sätze zu brainstormen.
Solche „Interventionssätze“ können wertvolle Werkzeuge sein, um die Gesprächsführung wieder in den Griff zu bekommen und auch den leiseren Stimmen Gehör zu verschaffen.
Diese Sätze können z.B. gezielt einzelne Personen ansprechen, wie: „Ihre Anmerkungen sind wichtig, ich möchte sie mir notieren und später darauf zurückkommen“. Oder sie können die Gruppenstruktur ansprechen: „Mir ist aufgefallen, dass die Diskussion sehr stark in der linken Ecke des Raumes geführt wird. Es wäre wertvoll, auch andere Stimmen zu hören, da sich alle die Zeit genommen haben, heute hier zu sein“.
2. Bewegung im Raum
In der Arbeit mit Gruppen oder Teams kann es hilfreich sein, die eigene körperliche Präsenz im Raum als Werkzeug zu nutzen. Als Mediatorin und Moderatorin suche ich mir eine Position im Raum, von wo aus mich alle Teilnehmer:innen gut sehen können und ich niemandem den Rücken zu drehe. Wenn ich aber das Gefühl habe, dass eine Person oder ein Teil der Gruppe sehr leise ist, kann es hilfreich sein, diese generelle Position im Raum zu wechseln. Zum Beispiel, indem ich mich etwas von den lauteren Personen entferne, ihnen aber nicht ganz den Rücken zuwende. Oder ich setze mich neben die Person, die gerade mehr Unterstützung beim Sprechen braucht. Dadurch lenke ich auch die Blicke und somit die Aufmerksamkeit der Anderen in der Mediation auf die leiseren Personen.
Es ist also ratsam, sich der eigenen räumlichen Positionierung bewusst zu werden und herauszufinden, inwieweit diese als minimale und sanfte Intervention in Gruppendiskussionen eingesetzt werden kann.
3. Paraphrasieren und Reaktionsabfrage
Das Paraphrasieren des Gesagten ist eine gängige Methode in der Mediation. Sie hilft, während der Sitzungen immer wieder zu überprüfen, ob alles richtig verstanden wurde und unterstützt so die Medianden im Dialog. Auch in Großgruppen und Teams kann diese Methode sehr hilfreich sein, um das Gespräch für alle offen zu halten.
Wenn also eine Person immer wieder das Wort ergreift und damit die Diskussion in eine bestimmte Richtung lenkt, können Mediator:innen das Gesagte paraphrasieren und dann die gesamte Gruppe fragen, wie sie darauf antwortet.
Zum Beispiel: „Danke für deinen Beitrag. Wenn ich dich richtig verstanden habe, meinst du ....“. „Sehen andere in der Gruppe das auch so? Oder gibt es Gegenstimmen?“
4. Nonverbale und kreative Kommunikationsmethoden
Nonverbale Interventionen sind oft demokratischer als verbale. Sie ermöglichen es allen Teilnehmenden, sich gleichberechtigt im Raum zu äußern, ohne sich rhetorisch in den Vordergrund zu drängen. Beispielsweise kann eine Abstimmung per Handzeichen zwischendurch helfen, ein Stimmungsbild der Gruppe oder des Teams zu erhalten. Auch der Einsatz von Moderationskarten, Flipchart und Klebepunkten kann ein gutes Werkzeug sein, um allen Stimmen Raum zu geben. Beispielsweise können die gesammelten Themen auf ein Flipchart geschrieben werden und jede Person im Raum erhält einen Klebepunkt, den sie neben das für sie wichtigste Thema klebt.
Text und Redaktion von Hannah Varga // Korrekturgelesen mit Hilfe von DeepLWrite


