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Drei visuelle Methoden für die Mediation und Prozessbegleitung

  • Autorenbild: Hannah Varga
    Hannah Varga
  • 15. Okt. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Es beginnt ganz harmlos: Menschen sitzen gemütlich zusammen und unterhalten sich über den letzten gemeinsamen Urlaub. Doch plötzlich kippt die Stimmung. Es kommt zu Diskussionen darüber, was genau im Urlaub passiert ist. Unterschiedliche Erinnerungen, Wahrnehmungen und Perspektiven prallen aufeinander. Die zeitlichen Abläufe werden unklar, persönliche Eindrücke von Orten und Ereignissen widersprechen sich, und plötzlich reagiert eine Person am Tisch sehr emotional, weil sie sich missverstanden fühlt. Worte allein reichen nicht mehr aus, um diesen Strudel individueller Erinnerungen und Emotionen zu durchschauen.


Solche Szenarien begegnen auch Mediator:innen häufig während Sitzungen, insbesondere wenn Konflikte aufgearbeitet werden, deren Ursprung in der Vergangenheit liegt. Der Dialog gerät ins Stocken, weil es schwierig ist, die unterschiedlichen Perspektiven und Gefühle in Worte zu fassen. Hier kann ein Wechsel von der rein verbalen Kommunikation hin zu Methoden der Visualisierung im Prozess helfen. Visuelle Methoden bringen Klarheit und Struktur in schwierige Gespräche und ermöglichen eine ganzheitlichere Wahrnehmung, da alles gleichzeitig auf dem Tisch vor einem zu sehen ist. 


In diesem Blogeintrag möchte ich daher drei von mir angewendete Visualisierungsmethoden aus dem Co-Design skizzieren, und wie ich diese für die Mediation und Prozessbegleitung adaptiert habe: 



1. Timeline: Eine gemeinsame Chronologie erstellen 


Das Zeichnen einer Timeline oder eines Zeitstrahls ist eine Methode zur chronologischen Darstellung von Ereignissen und Meilensteinen. Sie eignet sich daher sehr gut, um die Entstehung eines Problems, die Dynamik eines Konflikts oder den Verlauf eines Projekts von Anfang an darzustellen. Ein solcher Zeitstrahl wird zumeist auf einem Blatt Papier festgehalten und hilft den Medianden, ihre Gedanken und Argumente gemeinsam chronologisch durchzudenken und in Einklang zu bringen.


Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass sich die Beteiligten nicht immer über die genaue Abfolge der Ereignisse einig sind. In einer solchen Situation ist es ratsam, keine Linie auf ein Blatt Papier als Grundlage für die Timeline zu zeichnen, sondern mit Moderationskarten zu arbeiten. Dabei werden im Rahmen der Konflikterhellung wichtige Ereignisse oder wichtige Momente auf jeweils eine Karte geschrieben. Diese Moderationskarten können beliebig oft umsortiert und ergänzt werden, was beim Zeichnen eines Zeitstrahls auf einem Blatt Papier nicht möglich ist. Dies führt zu einer klareren Struktur für die Medianden, da diese Darstellung der Zeitleiste mittels Mediationskarten allen ein klares Bild der Geschichte gibt und somit auch diesen potentiellen Eskalationspunkt entschärft.



2. Moodboard: Stimmungen sichtbar machen


Manchmal reichen Worte nicht aus, um Stimmungen und Gefühle auszudrücken. Doch gerade in der Mediation, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, spielen die emotionalen Bedürfnisse und Werte der Beteiligten eine zentrale Rolle im Lösungsfindungsprozess. Visuelle Methoden wie das Moodboard können die verbale Kommunikation um eine ästhetische und nonverbale Ebene ergänzen.


Ein Moodboard ist eine analoge oder digitale Collage aus Bildern, Farben, Wörtern oder Materialien. Es kann Gefühle oder Stimmungen widerspiegeln, die mit einem bestimmten Konfliktthema oder einer kontroversen Situation verbunden sind. Moodboards machen schwer fassbare Emotionen sichtbar und schaffen eine visuelle Grundlage für den Austausch zwischen den Medianden, in Teams und Gruppen. Sie geben oft überraschende Einblicke in die Werte und Prioritäten der Beteiligten.


Die Erstellung eines Moodboards ist aufwändiger als andere Visualisierungsmethoden, da die Erstellung eines Moodboards - sei es digital oder analog - Zeit in Anspruch nimmt. Es kann in einer ganzen Sitzung erarbeitet werden oder von den Medianden zu Hause als vorbereitende Übung für das nächste Treffen erstellt werden. Dabei geht es nicht um Perfektion oder aufwändige Collagen. Vielmehr soll das Moodboard die innere Stimmung und individuelle Wahrnehmung möglichst gut sichtbar machen.


Ein Beispiel dafür ist das folgende digitale Moodboard, das eine Teilnehmerin in einem meiner Seminare erstellt hat. Es erzählt die Geschichte einer Person, die sich einsam fühlt und ewig auf Veränderung wartet. Die kühle Farbgebung und die symmetrische Anordnung der Elemente erzeugen eine Atmosphäre der Isolation. Die Langeweile der Bilder verweist auf immer wiederkehrende Tagesabläufe, die von Eintönigkeit geprägt sind.


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(cc) Moodboard, anonym, 2020



3. Mental Map: Räumliche Wahrnehmung mit emotionalen Erleben verknüpfen


Wir benutzen Landkarten aus Papier oder Smartphones, um uns in unserer Umgebung zu orientieren. Doch im Gegensatz zu diesen praktischen Hilfsmitteln bietet die Mental Map - auch als kognitive Karte bekannt - eine Methode, die emotionale und mentale Wahrnehmung einer Person in ein räumliches Konstrukt zu übersetzen.


Während Landkarten Wege und geografische Merkmale objektiv darstellen, zeigt eine Mental Map, wie eine Person ihre Umgebung individuell erlebt. Wenn wir uns durch eine Landschaft bewegen, merken wir schnell, dass unser Erleben über das bloße Zurücklegen von Wegen hinausgeht: Wir nehmen Orte unterschiedlich wahr, fühlen uns vielleicht an bestimmten Stellen unwohl oder finden Rückzugsorte, die uns Sicherheit und Ruhe geben.


Die Mental Map visualisiert diese subjektiven Erfahrungen und ermöglicht es, persönliche Erlebnisse und Alltagsrituale sichtbar zu machen, die sich von der allgemeinen visuellen Darstellung eines Ortes auf einem Stadtplan unterscheiden. In der Mediation kann diese Methode den Medianden helfen, sich besser in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen. Sie hilft, emotionale Bindungen an Orte und Raumerfahrungen zu verstehen - ein wichtiger Schritt, um Konflikte im Kontext von Raum und Gemeinschaft besser bearbeiten zu können.


Abbildung 1 zeigt eine Mental Map, die die Veränderung eines alltäglichen Bewegungsmusters im Wiener Stadtverkehr vor und während der Covid-Maßnahmen im Jahr 2021 visualisiert. Abbildung 2 zeigt, wie sich eine Person im Alltag bewegt und an welchen Orten sie dabei ist:


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Abbildung 1, von Hannah Varga, 2021


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Abbildung 2, zur Verfügung gestellt von Kathrin D., 2022





Text und Redaktion von Hannah Varga // Korrekturgelesen mit Hilfe von DeepLWrite

 
 
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